Als Stuhlinkontinenz wird der ungewollte Verlust von Wind oder Stuhl an einem
„falschen Ort“(d.h. nicht auf der Toilette) oder zu einer „falschen Zeit“
verstanden. Dies ist die medizinische Definition, mehr nicht. Sie sagt nichts
aus über den Leidensdruck, dem der Patient aufgrund seiner Inkontinenz
ausgesetzt ist, sie sagt nichts aus über die täglichen Massnahmen, um der
Inkontinenz entgegenzuwirken oder sie zu vertuschen. Stuhlinkontinenz kann
verschiedene Formen haben. Sie reicht von gelegentlichem Stuhlschmieren oder
Windabgang bis hin zum mehrfachen täglichen Verlust von festem Stuhl. Die
psychische Belastung ist in den meisten Fällen erheblich. Nicht selten führt die
Inkontinenz zur sozialen Isolation aus Angst vor ungewolltem Stuhlverlust, der
von Anderen bemerkt werden könnte. Die Stuhlinkontinenz ist aber nicht nur ein
Problem des einzelnen betroffenen Patienten, sondern auch eine grosse
sozio-oekonomische Belastung. Es wird geschätzt, dass in der Schweiz die
unbehandelte Inkontinenz jährliche Kosten von rund 40 Milliarden Franken
verursacht, die durch den Verbrauch von Hygieneartikeln (Einlagen, Windeln,
Pflegeprodukte) entstehen. Die Dimension der Inkontinenzproblematik wird durch
den Umstand verdeutlicht, dass in den Vereinigten Staaten mehr Geld für die
Stuhl- und Urininkontinenz ausgegeben wird als für die Krebsbehandlung.
Schätzungen sprechen von rund 5% der Bevölkerung, die von der Inkontinenz
betroffen sind. In den Vereinigten Staaten entspricht das 15 Millionen
Einwohnern, in der Schweiz wären es rund deren 350'000. Es wird angenommen, dass
30-50% der Bewohner von Altersheimen unter Inkontinenz leiden. Alle diese Zahlen
dürften aber deutlich höher liegen, weil die Erhebung solcher Daten schwierig
ist.
Ursachen
Frauen sind von der Stuhlinkontinenz häufiger und schwerer betroffen als
Männer. Mitunter spielen Geburten eine ursächlich Rolle, die
diesen Unterschied erklären kann. Diese stellen für den
Beckenboden eine erhebliche Belastung dar. Im Verlauf kann sich
eine Beckenbodenschwäche ausbilden, die sekundär zu einer Schädigung der für die
Kontinenz wichtigen Beckenbodennerven führen kann. Daneben können Verletzungen
des Schliessmuskels, welche bei einer Geburt durch einen Dammriss entstehen
können, einer Inkontinenz in späteren Jahren Vorschub leisten. Andere, eher
seltene Ursachen einer Inkontinenz können chirurgische Operationen im
Analbereich (z.B. Hämorrhoiden-Operationen) sein. Hierbei kann es zu
einer Schädigung des Schliessmuskels kommen, die jedoch typischerweise erst
Jahre später zur Inkontinenz führt. So kann in jungen Jahren der
Funktionsverlust eines defekten Schliessmuskels kompensiert werden, mit dem
Alter jedoch werden diese Kompensationsmechanismen immer weniger wirksam, sodass
der Schliessmuskelschaden voll zum Tragen kommt.
Seltenere Ursachen einer Inkontinenz sind neurologische Störungen
wie die Multiple Sklerose (MS), der Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
oder unfallbedingte Querschnittsverletzungen. Paradoxerweise
kann auch eine hartnäckige Verstopfung mit Inkontinenz in
Zusammenhang stehen: Harter Stuhl kann durch eine Dehnung des Enddarms zur
reflexartigen Erschlaffung des Schliessmuskels führen, was dazu führt, dass
flüssigere Stuhlanteile nicht mehr zurückgehalten werden können. In einigen
Fällen bleibt jedoch die Ursache einer Inkontinenz verborgen.
Die Stuhlinkontinenz ist für den Patienten eine schwere Belastung und führt
häufig zu einer deutlichen Beeinträchtigung seiner Lebensqualität. Neuere
Therapien wie die Silikontherapie oder die Sakrale
Nervenstimulation sind vielversprechende neue Strategien in der
Behandlung der Inkontinenz. Die Ausschöpfung nicht-operativer Therapien
(Stuhlregulation, Physiotherapie) sowie eine genaue Abklärung der
Inkontinenzursache sind die tragenden Pfeiler des Therapieerfolges. Ebenso ist
ein Team von spezialisierten Ärzten (Chirurgen, Magen-Darm-Spezialisten,
Gynäkologen), spezialisierten Physiotherapeuten und Inkontinenzberatern wichtig,
um gemeinsam die Therapie eines einzelnen Patienten zu diskutieren und
festzulegen. An unserer Klinik wird jeder Patient mit einer
Stuhl-Inkontinenz von einem interdisziplinären Team betreut! Den
Grundstein für die erfolgreiche Behandlung der Stuhlinkontinenz muss jedoch der
betroffene Patient selber legen, indem er mit dem Hausarzt oder dem Spezialisten
darüber spricht!
Abklärung
Obwohl sich durch eine genaue Erhebung der Symptome sowie eine gründliche
Untersuchung der Patienten in vielen Fällen die Ursache der Inkontinenz vermuten
lässt, sind Zusatzuntersuchungen notwendig. Die Feststellung der Ursache einer
Inkontinenz ist für die Therapie ein entscheidender Faktor. Als
Zusatzuntersuchungen unverzichtbar sind der anale Ultraschall,
die anale Druckmessung (Manometrie) und eine funktionelle
Magnetresonanzuntersuchung (MRI) des Beckenbodens.
Durch den analen Ultraschall können Schädigungen des Schliessmuskels erkannt
werden. Durch die Einführung der 3-dimensionalen Ultraschalltechnik, die
spezialisierten Zentren zur Verfügung steht, hat sich die Genauigkeit dieser
Untersuchung deutlich erhöht. Mit diesem Gerät kann der Enddarm mit dem
Schliessmuskel räumlich dargestellt werden, was für die Diagnose der
Schliessmuskelschädigung grosse Vorteile bringt.
Neben der
Ultraschalluntersuchung ist die anale Druckmessung (Manometrie)
in der Diagnose der Stuhlinkontinenz wichtig. Mit Hilfe dieser
Untersuchung kann die Funktion des Schliessmuskels bestimmt werden. Ebenfalls
kann die Sensibilität des Enddarmes gemessen werden. Eine verminderte
Sensibilität kann zu einer sehr späten Wahrnehmung des Stuhldranges führen,
sodass nur wenig Zeit bleibt, eine Toilette aufzusuchen. Findet sich keine
Toilette in der Nähe, kommt es zu ungewolltem Stuhlverlust. Bei dieser Form der
Inkontinenz spricht man von Drang-Inkontinenz. Fehlt die
Empfindung für Stuhl im Enddarm fast gänzlich, kann dies zu unbewusstem
Stuhlverlust führen, was als passive Inkontinenz bezeichnet
wird. Sowohl eine verminderte Schliessmuskelfunktion wie auch eine verminderte
Enddarmsensibilität sind die häufigsten Störungen, die einer Inkontinenz
zugrunde liegen. Dieser Umstand verleiht der Manometrie eine entscheidende Rolle
in der Diagnostik der Inkontinenz.
Eine andere wichtige Untersuchung stellt die sog.
Magnetresonanz-Defäkographie dar. Hierbei handelt es sich um
eine funktionelle Untersuchung, d.h. die Bewegungen des Beckenbodens während des
Stuhlvorganges werden aufgezeichnet und können als Filmsequenz dargestellt
werden. Durch diese MRI-Untersuchung können krankhafte Veränderungen des
Beckenbodens entdeckt werden, welche nur während des Stuhlganges auftreten. Die
MRI-Defäkographie ist somit ein integraler Bestandteil der Inkontinenzabklärung
und sollte vor jeder geplanten Operation durchgeführt werden.
Nicht-chirurgische Therapie
Am Anfang jeglicher Therapie steht die Stuhlregulation, die
zum Ziel hat, die Konsistenz des Stuhls zu normalisieren und die Zeit der
Stuhlpassage im Darm zu verlängern. Flüssiger Stuhl kann von einem geschädigten
Kontinenzorgan viel schlechter zurückgehalten werden als geformter Stuhl. Die
Ursache von flüssigem Stuhl sind mannigfaltig: Übermässiger Alkohol- und
Kaffeegenuss, Fruchtsäfte, Milch bei Laktoseintoleranz und künstliche Süssstoffe
sind nur Beispiele von möglichen Ursachen. Zuweilen ist ein Stuhltagebuch
sinnvoll, um den Zusammenhang zwischen Nahrungsmitteln und dünnem Stuhl bzw.
Stuhlverlust erkennen zu können.
Für eine normale Stuhlkonsistenz ist ein
hoher Faseranteil in der Nahrung unverzichtbar. Dies kann durch Früchte, Gemüse,
Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte erreicht werden. Unterstützend können
Flohsamen aus der Apotheke wirken (z.b. Metamucil®). Besteht trotz dieser
Massnahmen weiterhin zu weicher Stuhl bzw. eine zu hohe Stuhlfrequenz, kann
Loperamid (Imodium®) hilfreich sein. Bei der Tendenz zu Verstopfung bzw. hartem
Stuhl ist eine Flüssigkeitszufuhr von mindestens 2 Litern (Wasser, ungesüsster
Tee) zu empfehlen.
Physiotherapeutische Massnahmen vom Typ
Biofeedback können in ausgewählten Fällen ebenfalls hilfreich
sein. Bei dieser Form des Beckenbodentrainings, die von spezialisierten
Physiotherapeuten angeboten wird, kann die selektive Aktivierung von
Beckenbodenmuskeln trainiert und so deren Funktion verbessert werden.
Chirurgische Therapie
Wenn die konservativen, d.h. nicht-operativen Therapien keine entscheidende
Verbesserung der Kontinenz nach sich ziehen, sollte eine Operation als Therapie
in Erwägung gezogen werden. Bei der Wahl der richtigen Form von Chirurgie müssen
die Ursache der Inkontinenz, deren Ausprägung und die Erwartung bzw. der Wunsch
des Patienten berücksichtigt werden.
Liegt der Grund der Inkontinenz in einem defekten Schliessmuskel, so kann der
vorhandene Muskeldefekt vernäht werden (sog. Sphinkterrepair).
Diese Operation wird meist bei jüngeren Patienten durchgeführt, typischerweise
bei Schliessmuskelzerreissung nach Geburten. Diese Operation ist heikel und
sollte nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Die Erfolgsrate nach
dieser Operation beträgt rund 50%.
Eine neue Therapiealternative zum Sphinkterrepair ist die Injektion
von Silikon zur Verstärkung des Schliessmuskels. Diese Therapie kommt
insbesondere bei leichtgradiger Inkontinenz, bedingt durch eine Schädigung des
Schliessmuskels, zur Anwendung. Das Silikon wird zwischen den inneren und den
äusseren Schliessmuskel gespritzt. Dabei werden 3 Silikon-Depots à 2.5ml gesetzt
um so das Volumen des Schliessmuskels zu erhöhen. Dies kann zu einer
verbesserten Funktion führen. Der Vorteil dieser Therapie liegt in ihrer
Einfachheit, der Nachteil in fehlenden Langzeit-Studien und im Preis: Die
Silikontherapie ist keine Pflichtleistung und wird aktuell von den Krankenkassen
nicht bezahlt, womit der Patient mit mindestens SFr. 3000-4000.- belastet
werden kann. Im Rahmen von Studien ist aber eine Kostenübernahme durch die
Klinik möglich.
Eine eigentliche Revolutionierung der Therapie der Stuhlinkontinenz erfolgte
1995 mit der Sakralen Nerven Stimulation (SNS). Bei dieser
Therapie werden die für die Kontinenz wichtigen Beckenbodennerven mittels Strom
stimuliert. Dies führt vor allem zu einer verbesserten Empfindlichkeit des
Enddarmes, sodass der Stuhl früher bemerkt wird. Diese Stimulierung geschieht
für den Patienten meist unbemerkt oder wird als feines Kribbeln im Bereich des
Afters wahrgenommen.
Die Operation läuft in 2 Phasen ab, einer Testphase und einer permanenten
Phase. In der Testphase wird zunächst der Beckenbodennerv im Bereich des
Steissbeines mit einer Nadel lokalisiert, um dann eine feine Elektrode in die
Nähe des Nervs einzubringen. Diese Operation geschieht in Lokalanästhesie und
wird ambulant durchgeführt. Danach erfolgt eine vierzehntägige Teststimulation
zur Beurteilung des Therapieerfolges. Wird in dieser Testphase eine Verbesserung
der Beschwerden um mindestens 50% erreicht, erfolgt die Implantation einer
kleinen Batterie (ähnlich einem Herzschrittmacher) in die Muskulatur des
Gesässes.
Die SNS wird an spezialisierten Zentren angeboten und gehört heute zu den
vielversprechendsten Therapien der Stuhlinkontinenz. Bei unseren eigenen
Patienten können wir einen Erfolg von über 85% verzeichnen! Die Indikation der
SNS wird zusehends ausgeweitet. Sie beinhaltet nicht nur die Inkontinenz durch
Schliessmuskelschäden oder Nervenschädigungen (z.B. bedingt durch Geburten,
Multiple Sklerose etc), sondern neuerdings auch die chronische,
therapieresistente Verstopfung oder chronische anale Schmerzen.
Die dynamische Gracilisplastik ist für Patienten vorgesehen,
bei denen übliche operative Therapien nicht zum Erfolg führten. Der
Gracilismuskel ist ein feiner Muskel an der Oberschenkel-Innenseite, der bei
dieser Operation freigelegt wird und als Schliessmuskel-Ersatz um den After
geschlungen wird. Wie bei der SNS wird auch dieser Muskel mit Strom stimuliert,
womit der Muskel unter Dauerspannung gesetzt wird und so den After
verschliesst. Zwei von drei Patienten profitieren von der Gracilisplastik im
Sinne einer deutlichen Verbesserung der Kontinenz. Diese Operation ist technisch
sehr anspruchsvoll und sollte deshalb nur an Kliniken durchgeführt werden, die
über die entsprechende Erfahrung verfügen.
Andere Therapiealternativen wie der künstliche Schliessmuskel
oder der künstliche Darmausgang sollten nur
in ganz vereinzelten Fällen durchgeführt werden, bei denen alle anderen
Therapiestrategien ihr Ziel verfehlt haben.
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